Nach Einschätzung von Professor Dr. Christian Waldhoff, Inhaber des Lehrstuhls für Öffentliches Recht und Finanzrecht an der Humboldt-Universität zu Berlin, der sich auf die sachverständigen Analysen von Professor Dr. Mathias Rohe (Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg – islamwissenschaftlich) und Dr. Günter Seufert (ehemals Stiftung Wissenschaft und Politik – turkologisch) stützt, besteht zwar die abstrakte Gefahr, dass die Unabhängigkeit DITIB Hessens von der Regierung der Republik Türkei nicht hinreichend gewährleistet ist. Gleichwohl kann, so Waldhoff, der Verwaltungsakt, auf dem die Kooperation des Kultusministeriums mit DITIB Hessen beim Religionsunterricht beruht, erst dann widerrufen werden, wenn sich das damit verbundene Risiko einer politischen Instrumentalisierung DITIB Hessens in konkreter Weise realisiert. Dies ist, wie Waldhoff darlegt, auch unter Berücksichtigung der aktuellen politischen Situation (Nahostkonflikt) bislang nicht der Fall. Der in Kooperation eingerichtete islamische Religionsunterricht muss daher fortgesetzt werden, weil DITIB Hessen hierauf einen verfassungsrechtlichen, durch den nach wie vor wirksamen Einrichtungsbescheid konkretisierten Anspruch hat.
Allerdings folgt, wie Waldhoff betont, aus der weiterhin gegebenen abstrakten Gefahrenlage, die sich jederzeit zuspitzen kann, eine verstärkte staatliche Beobachtungspflicht hinsichtlich relevanter Vorkommnisse. Wörtlich führt Waldhoff in seinem Gutachten aus: „Treten nachweisbare Vorkommnisse auf, die die abstrakt ohnehin nicht in jeder Hinsicht belegte Unabhängigkeit vom türkischen Staat in Frage stellen, fielen die für die Kooperation bei bekenntnisgebundenem Religionsunterricht geltenden Voraussetzungen weg. Diese Vorkommnisse müssten sich nicht auf den Religionsunterricht beziehen, sondern könnten prinzipiell jeden Bereich des Handelns des Kooperationspartners betreffen.“ In einem solchen Fall müsste das Hessische Kultusministerium Waldhoff zufolge die Kooperation beenden. Der in der Vergangenheit erwogene Widerruf des Verwaltungsakts, auf dem die Zusammenarbeit mit DITIB Hessen beruht, ist also keineswegs ein für alle Mal abgewendet, sondern bleibt auch zukünftig eine legitime Option.
Hessens Kultusminister Prof. Dr. R. Alexander Lorz sagt zur Entscheidung: „Das Bemühen der Verantwortlichen von DITIB Hessen, die verfassungsrechtliche Eignung als Kooperationspartner beim Religionsunterricht jetzt und in der Zukunft sicherzustellen, begrüße ich. Anzuerkennen ist auch die jüngste offizielle Äußerung von DITIB Hessen unter anderem zur Bedeutung der Bekämpfung von Antisemitismus, zu der Verurteilung des Hamas-Terrorüberfalls und mit einem Bekenntnis zum Existenzrecht Israels. Gleichwohl wird die hessische Landesregierung stets wachsam sein und genau hinschauen, damit der unter staatlicher Aufsicht stehende Unterricht zu jedem Zeitpunkt unseren demokratischen Werten und Vorstellungen entspricht. Und DITIB Hessen ist sehr gut beraten, alles daran zu setzen, das abstrakte Risiko einer unzulässigen politischen Einflussnahme noch weiter zu reduzieren. Je weniger in Zweifel steht, dass die Zusammenarbeit von DITIB Hessen über den DITIB-Bundesverband mit der türkischen Religionsbehörde Diyanet ausschließlich auf religiöse und theologische Fragen beschränkt ist, desto besser.“
Konkrete Auswirkungen auf den laufenden Unterricht hat die heutige Entscheidung zunächst nicht. Informationen über die weitere Gestaltung des in Kooperation mit DITIB Hessen eingerichteten Religionsunterrichts folgen zu gegebener Zeit.
Hintergrund
Der Religionsunterricht in Kooperation mit DITIB Hessen wird im Schuljahr 2023/2024 an 32 von insgesamt rund 1.800 Schulen in Hessen – 27 Grundschulen und fünf weiterführende Schulen – in den Jahrgangsstufen eins bis sechs angeboten. Der uneingeschränkt unter staatlicher Aufsicht stehende Unterricht wird von 42 staatlichen Lehrkräften, deren Dienstherr das Land Hessen ist, nach staatlichen Kerncurricula erteilt. Es gibt derzeit 106 Lerngruppen mit 1.677 Schülerinnen und Schülern. Dem Kooperationspartner DITIB Hessen obliegt es, auf die Übereinstimmung des Unterrichts mit seinen bekenntnismäßigen Grundsätzen zu achten und den Lehrkräften – wie bei anderen Religionsunterrichten auch – die religionsgemeinschaftliche Bevollmächtigung zu erteilen.
Neben dem islamischen Religionsunterricht in Kooperation mit DITIB Hessen gibt es einen weiteren islamischen Religionsunterricht in Kooperation mit Ahmadiyya Muslim Jamaat Deutschland K.d.ö.R., der von fünf staatlichen Lehrkräften für 225 Kinder an fünf Grundschulen erteilt wird. Darüber hinaus wird weiterhin der Schulversuch „Islamunterricht“ mit derzeit rund 2.200 Schülerinnen und Schülern an 25 Schulen (20 Grundschulen und fünf weiterführende Schulen) durchgeführt. Der „Islamunterricht“ ist kein Religionsunterricht, sondern ein islamkundlicher Unterricht in alleiniger staatlicher Verantwortung.