Innenminister Poseck hat gemeinsam mit dem Präsidenten des Landesamts für Verfassungsschutz (LfV) Hessen, Bernd Neumann, den hessischen Verfassungsschutzbericht 2023 vorgestellt und auf verfassungsfeindliche Entwicklungen sowie auf Bedrohungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung hingewiesen.
Sicherheitslage angespannt
Innenminister Roman Poseck zur aktuellen Sicherheitslage: „Die Sicherheitslage ist insgesamt angespannt. Extremisten im Inland und Akteure aus dem Ausland bedrohen unsere Innere Sicherheit. Der Anschlag in Solingen hat uns auf erschreckende Weise vor Augen geführt, dass der Terrorismus nach wie vor eine große Gefahr für unsere Sicherheit ist. Islamistische Terroristen greifen unsere demokratische Gesellschaft an, bedrohen unser friedliches Miteinander und unsere westliche Kultur. Auf diese Herausforderungen braucht es umfassende Antworten. Wir müssen Radikalisierungstendenzen, insbesondere von potenziellen Einzeltätern, noch stärker in den Blick nehmen. Dabei spielen das Internet und die Kommunikation in Chatgruppen eine immer größere Rolle. Um Terrorismus+ effektiv zu bekämpfen und Anschläge zu verhindern, brauchen unsere Sicherheitsbehörden mehr Befugnisse, etwa zur Speicherung von IP-Adressen. Die Verschärfung des Waffenrechts, eine deutliche Begrenzung der irregulären Migration und die konsequente Abschiebung ausländischer Straftäter sind weitere Bausteine, um unsere Sicherheit zu erhöhen. Zudem müssen wir unsere Nachrichtendienste stärken. Gerade in der aktuellen sicherheitspolitischen Lage muss der Bund klare und belastbare Rechtsgrundlagen für nachrichtendienstliches Handeln schaffen, beispielsweise hinsichtlich der Ausweitung der Befugnisse der Verfassungsschutzbehörden. Wir müssen uns unabhängiger von ausländischen Nachrichtendiensten machen und die Möglichkeiten, an eigene Erkenntnisse zu gelangen, ausweiten. Es braucht ein Gesamtpaket für mehr Sicherheit. Der Handlungsauftrag an die Politik ist klar. Die Bundesregierung ist nun am Zug, die gesetzlichen Rahmenbedingungen für die Stärkung der Sicherheitsbehörden zu schaffen. In Hessen haben wir bereits kurzfristig auf die Tat in Solingen reagiert und die Polizeipräsenz vor allem bei Veranstaltungen und Festen sichtbar gesteigert. Auch in Zukunft behalten wir die Sicherheitslage im Blick. Wir werden angemessen reagieren und vor allem unsere Sicherheitsbehörden weiter stärken“, so Innenminister Roman Poseck.
Große Bedrohung durch islamistischen Terrorismus
Im Hinblick auf den hessischen Verfassungsschutzbericht 2023 erklärte der Minister: „Die Gefährdungslage durch terroristische Gruppierungen wie den Islamischen Staat und seine Ableger ist weiterhin abstrakt hoch. Die Zahlen des Verfassungsschutzberichts zeigen eine gestiegene Herausforderung durch den Islamismus: Im vergangenen Jahr hat es 146 islamistische Straftaten gegeben, im Vorjahr waren es 27 gewesen. Das ist ein Anstieg um mehr als das Vierfache. Auch das Personenpotential im Islamismus nahm 2023 um 25 Personen auf 3.890 zu. Der Islamismus lehnt unsere freiheitliche demokratische Grundordnung ab. Er ist eine Gefahr für unsere Demokratie, unsere offene Gesellschaft und unsere Art zu leben. Daher ist die Bekämpfung des Islamismus und derjenigen, die unsere verfassungsmäßige Ordnung durch ein Kalifat ersetzen möchten, ein Schwerpunkt der hessischen Sicherheitsbehörden. Das Verbot des Islamischen Zentrums Hamburg und des Zentrums für Islamische Kultur in Frankfurt ist bereits ein deutliches Signal des Rechtsstaats gewesen. Wir dürfen nicht zulassen, dass Verfassungsfeinde unser Land unterwandern. Daher werden wir auch in Zukunft konsequent gegen jede Form des Extremismus vorgehen. Dies gilt insbesondere für jihadistische, aber auch für politische Ausprägungen des Islamismus.“
Rechtsextremismus größte Gefahr für Demokratie
Das extremistische Personenpotenzial in Hessen ist im Jahr 2023 gegenüber dem Vorjahr um 185 auf 13.110 Personen leicht gesunken, allerdings sind die Personenpotenziale außer im Bereich des Islamismus (+25) auch in den Bereichen Rechtsextremismus (+45) und „Reichsbürger- und Selbstverwalter“ (+100) gestiegen. Zudem nahm die Zahl der Straf- und Gewalttaten im Vergleich zum Vorjahr um insgesamt 51 Prozent (+638) zu und lag 2023 bei 1.881.
Im Bereich Rechtsextremismus ist das Potenzial gewaltorientierter Rechtsextremisten im vergangenen Jahr um 25 auf 905 Personen angestiegen. Die Zahl der rechtsextremistischen Straf- und Gewalttaten stieg sogar um 394 auf 1.445 Delikte an. Das sind 37 Prozent mehr, es bedeutet einen Höchststand im Zehn-Jahres-Vergleich. „Die Zahlen sind höchst alarmierend und unterstreichen, dass der Rechtsextremismus die größte Bedrohung für unsere freiheitliche demokratische Grundordnung ist. Jeder zweite Rechtsextremist in Hessen ist gewaltorientiert. Die voranschreitende Radikalisierung der AfD, die der Verfassungsschutz in einigen Bundesländern bereits als gesichert rechtsextremistisch eingestuft hat, hat meines Erachtens einen Anteil daran. Das Oberverwaltungsgericht Münster hat mit seiner ausführlich begründeten Entscheidung im Mai gebilligt, dass die AfD vom Bundesamt für Verfassungsschutz als rechtsextremistischer Verdachtsfall geführt werden darf. Dass jüngst ein hessischer AfD-Landtagsabgeordneter im Internet offensichtlich den Eindruck erweckt hat, Migrationspolitik mit Waffengewalt betreiben zu wollen, ist ein neuer, höchst alarmierender Tiefpunkt. Alle Demokratinnen und Demokraten sind aufgerufen, diesen Entwicklungen entgegenzutreten und unsere freiheitliche demokratische Grundordnung zu verteidigen.
Wir müssen alle Bedrohungen, die sich gegen unsere Verfassungsordnung richten, gleichermaßen ernst nehmen. Ich halte nichts davon, Bedrohungen gegeneinander auszuspielen. Im Gegenteil: Die aktuelle Zeit ist durch ein außergewöhnliches Zusammentreffen verschiedener hoch gefährlicher Entwicklungen gekennzeichnet. Die Bekämpfung des Islamismus in den Mittelpunkt zu stellen, heißt nicht, den Rechtsextremismus zu vernachlässigen; gleiches gilt umgekehrt. Ich bin den Sicherheitsbehörden in Hessen sehr dankbar, dass sie genauso arbeiten; für sie ist jede extremistische Bestrebung ein Schwerpunkt, unabhängig davon, ob ihr eine islamistische, eine rechts- oder linksextreme Gesinnung zugrunde liegt“, so Roman Poseck.
LfV-Präsident Bernd Neumann ergänzte, dass insbesondere in der Neonaziszene eine aggressive Rhetorik und auch Gewalt- und Umsturzfantasien feststellbar seien. Die Aneignung von Kampftechniken sei in der rechtsextremistischen Szene ein Thema mit weiter steigender Bedeutung. Eine Vordenkerrolle spielten aber auch die Ideologen der sogenannten „Neuen Rechten“: „Rechtsextremisten aus dem Bereich der ,Neuen Rechten‘ nutzen Entwicklungen wie die Migration nach Europa und deren Folgen aus, um bestehende Ängste zu schüren und Ressentiments zu verstärken. Sie würdigen Personengruppen pauschal herab und versuchen, Menschen und Diskurse im Sinne ihrer verfassungsfeindlichen Ideologie zu beeinflussen. Damit befördern sie ihre Ideologie der Ungleichwertigkeit, die die Würde und den Wert eines Menschen nach seiner Herkunft bemisst.“
Reichsbürgerszene um weitere 100 Personen gestiegen
Die Reichsbürgerszene ist um weitere 100 Personen von 1.100 auf 1.200 gestiegen. „Auch diese Entwicklung ist besorgniserregend. Das Spektrum der Reichsbürger-Szene reicht von Anhängern von Verschwörungsideologien bis hin zu hoch gefährlichen und waffenaffinen Extremisten, die sich zum Teil im Verborgenen radikalisieren und die eine sehr ernsthafte Bedrohung unserer verfassungsmäßigen Ordnung und ihrer Repräsentantinnen und Repräsentanten darstellen. Besonders gefährlich wird es, wenn Reichsbürger Waffen besitzen. Deshalb setzen wir auch hier alles daran, Extremisten zu entwaffnen“, so der Minister.